„Diese Feststellung machen wir immer wieder, dass, wenn wir gehen und dadurch unser Körper in Bewegung kommt, dann auch unser Denken in Bewegung kommt.“
Thomas Bernhard
Da ich psychisch schwierige Zustände aus eigener Erfahrung kenne, erlebe ich immer wieder an mir selber, wie gut mir die Bewegung tut. Für mich ist zusätzlich zu der Bewegung das in der Natur sein eine grosse Unterstützung. Daher hätte bei mir ein „Hometrainer“ nicht dieselbe Wirkung. Aber für Menschen, welchen es aus den verschiedensten Gründen nicht möglich ist, in die Natur zu gehen, ist ein Hometrainer wie hier beschrieben sicher Gold wert:
„Es gibt noch einen anderen Zugang zum emotionalen Gehirn, der vollständig über den Körper verläuft. Obwohl auch er seit Hippokrates bekannt ist, wird er im Westen in gleicher Weise vernachlässigt wie die Ernährung. Seltsamerweise ignorieren ihn vor allem jene, die unter Stress und Depressionen leiden – unter dem Vorwand, sie hätten nicht die Zeit oder aber nicht die notwendige Energie dafür. Dabei handelt es sich jedoch um eine der reichsten und wissenschaftlich am besten erforschten Quellen der Energie. Es geht um körperliches Training. Sogar in sehr niedriger Dosierung wie wir gleich sehen werden[…]
Körperliches Training ist eine erstaunlich gute Behandlung bei Angstzuständen. Es wurden zahlreiche Untersuchungen dazu durchgeführt […] In einer Untersuchung befassten sich die Wissenschaftler speziell mit dem Nutzen von Heimtrainern. Demnach zeigte sich bei der Mehrheit der Teilnehmer ein Zuwachs an Energie, und zugleich fühlten sie sich entspannter. Aus der Untersuchung ging weiter hervor, dass die positiven Wirkungen auch nach einem Jahr noch Bestand hatten, zumal die grosse Mehrheit der Teilnehmer von sich aus beschlossen hatte, das Training regelmässig fortzusetzen“. (Servan-Schreiber, 2006: 178,182)
Bei mir gibt es zwei Zustände, bei denen ich weiss, dass ich rausgehen und mich bewegen muss. Der eine ist dann, wenn ich innerlich sehr angetrieben bin, nicht zur Ruhe komme, diverse Ängste und Wahrnehmungen in mir trage die mich verunsichern. Ich bin völlig überreizt und kann nicht schlafen. In dem Zustand helfen mir zügige, stundenlange Wanderungen. Stundenlang müssen sie sein, weil sonst der erwünschte Effekt- nämlich das Schlafen können- ausbleibt. Weil ich in diesem Zustand sowieso angetrieben bin, braucht die Bewegung keine Überwindung. Dann gibt es aber auch den gegenteiligen Zustand, ein Zustand, in dem ich kaum aus dem Bett komme und mich zu nichts aufraffen kann. Ich muss mich dann zu jeder Handlung zwingen. Neulich habe ich gelesen wie jemand trefflich beschrieben hat: „Ich musste mich förmlich aus dem Bett prügeln“. So geht es mir jeweils auch. Stundenlange Spaziergänge sind dann jeweils überhaupt nicht möglich. Aber bereits das Aufstehen, Anziehen und Rausgehen, auch wenn es nur 20 Minuten sind, ist hilfreich. Es geht mir danach nicht „blendend“ aber entschieden besser als vorher, weil die Bewegung mir in meiner Wahrnehmung dabei hilft „aus dem Kopf“ und „in den Körper“ zu kommen. Menschen in depressiven Phasen erlebe ich oft als vollkommen „im Kopf“ und in stets denselben „Gedankenkreisen“ gefangen, die nichts „Neues“, „Lebendiges“ mit sich bringen. Oft haben sie eiskalte Füsse und Hände. Sowohl für die kalten Extremitäten wie für das Gedankenkreisen kann Bewegung sehr hilfreich sein:
„Ein Merkmal von Ausdauer Training ist gerade, dass es erlaubt, zumindest zeitweilig den ständigen Fluss düsterer Gedanken aufzuhalten. Beim Training tauchen solche Gedanken selten spontan auf, und wenn es geschieht, genügt es in der Regel, dass man sich bewusst auf die Atmung konzentriert, auf den Kontakt der Füsse mit dem Boden, darauf dass die Wirbelsäule möglichst aufrecht ist, und schon verschwinden sie von selbst. Die meisten Jogger berichten, dass sie nach fünfzehn bis dreissig Minuten in einen Zustand gelangen, in dem die Gedanken spontan positiv, sogar kreativ sind.[…]
Wissenschaftler der Duke-Universität haben in einer vergleichenden Studie die Behandlung von Depressionen mit Jogging und mit einem sehr wirksamen modernen Medikament, Zoloft, untersucht. Nach viermonatiger Behandlung fühlten sich die Patienten der beiden Vergleichsgruppen genau gleich gut. Die Einnahme des Medikaments bot keine Vorteile gegenüber regelmässigem Joggen. Auch wenn das Medikament zusätzlich zum Joggen eingenommen wurde, besserte sich der Zustand nicht weiter. Nach einem Jahr war allerdings ein deutlicher Unterschied zwischen den beiden Gruppen zu erkennen: Über ein Drittel der mit Zoloft behandelten Patienten hatten einen Rückfall erlitten; in der Gruppe derjenigen, die regelmässig joggten, waren 92 Prozent nach wie vor vollkommen beschwerdefrei.“ (Servan-Schreiber, 2006: 186,187)
Brigitte Zürcher