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Entzugserscheinungen und Chronifizierung von Psychosen

Veränderungen des Rezeptorensystems gelten als behandlungsbedingte Ursachen von Supersensivitätspsychosen sowie tardiven, das heisst im Lauf der Neuroleptika-Verabreichung, beim Absetzen oder danach auftretenden Psychosen. Entzugserscheinungen bei Neuroleptika werden oft als Rückfall verkannt und führen zu deren Dauerverabreichung.

 

[…] Die Entzugssymptome können Angehörige und Ärzte an Rückfälle und die Betroffenen an die Notwendigkeit einer Dauerbehandlung mit Neuroleptika glauben lassen. […]

 

Supersensivitätspsychosen liegt eine im Lauf der Neuroleptika-Verabreichung entstehende Vermehrung („Up-Regulation“) von Dopamin-Rezeptoren im Streifenkern zugrunde, einem speziellen Hirnbereich. Nach mehreren Monaten steigt deren Zahl um durchschnittlich 34 % an, nach mehreren Jahren um 70 % bis 100 %. Schliesslich verdreifacht sich die Zahl der Dopamin-Rezeptoren, der „D2 high state“ tritt ein: physiologische Grundlage von Supersensivitätspsychosen und Wirksamkeitsverlusten der Neuroleptika (siehe den Beitrag von Volkmar Aderhold in diesem Buch), einhergehend mit dem Anstieg erforderlicher Dosierungen, erhöhter Vulnerabilität für neue Psychosen und verkürzter Intervalle zwischen psychotischen Episoden (Scholler et al., 1967; Chouinard & Jones, 1978; Chouinard et al., 1980), vermehrte Ausschüttung von Dopamin (Howes & Kapur, 2009), vermehrter sogenannter Positiv-Symptomatik bei Rückfällen (Gur et al., 1998; Grace, 1991; Abi-Dargham et al., 2010) und sogenannter psychotischer Restsymptomatik nach Rückfällen sowie vermehrter tardiver Dyskinesien bei Patienten mit der höchsten Vermehrung von D2-Rezeptoren. Die Psychose wird chronisch. […]

 

Mit Supersensivitätspsychosen einhergehen eine weitere Toleranzentwicklung gegenüber Neuroleptika, eine Verschlechterung der psychotischen Symptome auch bei kontinuierlicher Neuroleptika-Verabreichung, Dyskinesien, und erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Stress. Das heisst, dass bereits geringe psychosoziale Belastungen psychotische Symptome verstärken oder einen Rückfall auslösen können.

 

Ein Frühwarnzeichen für sich entwickelnde Supersensivitätspsychosen unter Neuroleptika sind psychotische Symptome, die schon in den ersten zwei Wochen nach dem Absetzen auftreten. Werden diese Symptome durch eine weitere anhaltende Verabreichung von Neuroleptika unterdrückt, kann die Psychose chronisch werden. Als weitere Frühwarnzeichen für Supersensivitätspsychosen, die in Häufigkeiten bis zu 43 % auftreten (Chouinard et al., 1986), gelten Neuroleptika- bedingte Bewegungsstörungen wie Bewegungsarmut, Muskelzittern, -steifheit und –krämpfe, Akathisie und Dyskinesien (Chouinard et al., 1988, 1990; Chouinard & Chouinard, 2008).

 

 

Aus dem Buch: „Neue Antidepressiva, atypische Neuroleptika“ Risiken, Placebo-Effekte, Niedrigdosierungen und Alternativen, Peter Lehmann, Volkmar Aderhold, Marc Rufer, Josef Zehentbauer, 2017, P.Lehmann Publishing

 

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