Als ich 22 war, ist mein Leben gegen die Wand gelaufen. Ich sass in der Klemme, hatte aber nicht den Mut auszubrechen. Da hat meine Seele die Notbremse gezogen: Ich entwickelte Verfolgungswahn, geriet in Panik und rastete total aus. Konsequenz: Einweisung in die Geschlossene, Diagnose „Schizophrenie“. Danach hatte ich das grosse Glück, […] eine Lebensgemeinschaft von Psychose erfahrenen Menschen zu finden, die es mir ermöglicht hat, im geschützten Rahmen meine seelischen Probleme aufzuarbeiten.
Wenn ich heute, nach zwanzig Jahren, rückblickend meinen Weg überschaue, so sehe ich deutlich vor mir, was mir im Einzelnen geholfen hat, nicht wieder verrückt zu werden. Die Grundvoraussetzung war für mich, dass ich von den Mitgliedern der Gemeinschaft ohne Wenn und Aber angenommen worden bin, mit meinen Macken, meinen Schwächen, meinen Ängsten. In der Akutphase nach dem Absetzen von Haldol hat mir in erster Linie „KITE“ (Körperorientiertes Intuitives Trance-Erleben) geholfen, eine Selbsthilfemethode […]. Schon in meiner Jugend ahnte ich, dass schlimme Erlebnisse, an die ich mich nicht mehr erinnern kann, mein Leben beschatten. Und ich vermutete, dass ich diese Schatten selbst auflösen kann, indem ich die schlimmen Erlebnisse aus dem Verborgenen aufspüre und die damit verbundenen Gefühle noch einmal durchlebe. Genau das hat „KITE“ für mich möglich gemacht. […]
Ergänzend zu „KITE“ war es für mich hilfreich zu lernen, mir selbst über die Schulter zu schauen und die „Muster“ zu erkennen, aus denen ich mein Leben gewebt hatte. Und vor allem im Miteinander in der Gemeinschaft zu lernen „musterhafte“ Verstrickungen zu entwirren und dadurch eine verlässliche Orientierung zu bekommen.
Ein weiteres „Werkzeug“, welches mir geholfen hat, ist das intuitive selbst-therapeutische Schreiben. Auf diesem Weg konnte ich mein Schweigen brechen, fand Worte für das Unaussprechliche. Und noch heute ist es für mich das Mittel der Wahl, um mir schnell Klarheit zum Beispiel über ein schwieriges Gefühl zu verschaffen.
[…] es ist für mich wichtig, meine Einstellung zum Leben im Blick zu haben, quasi aus nötiger Distanz mich selbst anschauen zu können: Damit ich mich selbst richtig einschätze; achtsam mit mir, meinen Mitmenschen und allem Lebendigen umgehe; unterscheiden kann, was Realität ist und was Illusion; die Motive für mein Handeln kenne und die für mich richtigen Entscheidungen treffe. […]
Was mir im Alltag gut tut, ist das einfache, überschaubare Leben auf dem Land in gemütlicher Atmosphäre mit viel „Spielraum“. Ich handwerke und baue leidenschaftlich gerne, und als Ausgleich arbeite ich am Schreibtisch. Aber alles nur nach meiner eigenen Einteilung, ohne Zeit- und Leistungsdruck. Was ich unbedingt für mich brauche ist eine klare, eindeutige Kommunikation, ehrlich, das heisst gefühlsidentisch, wo nichts verdrängt wird, nichts überspielt. Und ich muss schwierige Gefühle wenn möglich direkt ausdrücken können, ohne dafür abgelehnt zu werden.
Constance Dollwett
Peter Lehmann, Peter Stastny (Hg.), Statt Psychiatrie 2