Ich glaubte nie an eine Heilung durch die Psychiatrie. […] So wählte ich meinen eigenen intuitiven Weg der Heilung, mit Hilfe von vielen Informationsquellen und Anleitungen zu nicht-medikamentöser Heilung. Meine Suche verband ich mit rigorosen körperlichen Übungen. Einige Monate lang war dies die einzige nützliche Tätigkeit, zu der ich mich täglich durchringen konnte, die Depressionen waren zu heftig. Der Rest der Zeit verschwand im alles aufsaugenden Universum des Nichts. Begleitet von unaufhörlichen Gedanken an das Sterben, Alpträumen und entsetzlichen Erinnerungen, schlief ich, ass, zerstörte Gegenstände im Haus und heulte. Ich spürte eine grenzenlose Wut auf mich, auf andere und die ganze Welt. Glücklicherweise lebte ich damals allein und der Therapeut war ein Freund, sonst wäre ich mit Sicherheit psychiatrisch untergebracht worden als eine potentiell selbst- und fremdgefährdete Frau.
So gingen zwei Jahre ins Land – mit langsamen inneren Änderungen. Ich brachte wenig in der äusseren Welt zu Stande, lernte aber viel über mich, über das Leben und den Tod. Es dauerte vier Jahre die „Depression“ ganz zu überwinden, ohne Psychopharmaka, das meiste davon durch Entwicklung von Körperbewusstsein und Fitness. Hilfreich waren ausgedehnte Reisen, neue Umgebungen und Freundschaften, intensive Beschäftigung mit Philosophie und Psychologie, Selbstbeobachtung, minutiöse Planung jedes Tages und politische Aktivitäten (ich gehöre der indischen Frauenbewegung an). Ich schätze die Erfahrungen jener Jahre und bin dankbar, dass ich mir die Chance gab zu sehen, was mein psychisches, geistiges und körperliches System von sich aus ohne die Hilfe von Psychopharmaka tun kann. Diese hätten mein Leiden vielleicht verringert, möglicherweise sogar rasch, aber sie hätten mir keine Erkenntnisse verschafft, noch viel weniger spirituelles Wachstum. Erkenntnis ist ein langwieriger Prozess, der sich ausserhalb zeitlicher Beschränkungen entfalten kann, Abkürzungen sind nicht möglich.
Mein Leben verläuft seitdem gut. Es wird bereichert durch die Einsichten jener vier betäubend traurigen Jahre und die später dazugekommene Kraft, die ich durch bewusste Ernährung gewann, durch Meditation und andere spirituelle Praktiken, Studien über die Funktionsweise der menschlichen Psyche, heilende Freundschaften, erfüllende Arbeit insbesondere im Gemüsegarten, natürliches auskurieren eines Schilddrüsenproblems und hartes körperliches Training.
Nach vielen Jahren des Kampfes mit der „Depression“ und nach meiner Selbstheilung sehe Ich Depression als eine vielfältige Wechselwirkung von Körper, Geist, Psyche und Zweck, existentiellen Schwierigkeiten zu begegnen. Sie ist eine Manifestation körperlicher, geistiger und psychischer Disharmonie. Ich halte die Erfahrung der Depression in erster Linie für eine Chance auf körperliche, geistige und psychische Erkenntnis, Einsicht, Erholung und Erneuerung. Die Erfahrung der Depression wirft existenzielle Fragen über das Leben, den Tod und das Danach auf. […]
Depression beinhaltet inneren Schmerz es ist aber ein Schmerz, der auffordert, ihn zu überwinden. In der Erfahrung der Depression wird ein Selbst begraben, das darauf wartet wiedergeboren zu werden. […]
Bhargardi Davar
Peter Lehmann, Peter Stastny (Hg.), Statt Psychiatrie 2