In England haben wir die Prinzipien der Stimmenhörerbewegung in andere psychosoziale Bereiche integriert. Inzwischen gibt es auch ein Netzwerk zur Unterstützung von Menschen mit aussergewöhnlichen Überzeugungen. Die zugrunde liegende Idee beruht auf der Arbeit von Tamasin Knight, einer Forscherin und Aktivistin für Menschenrechte im psychiatrischen Bereich, die untersucht hat, wie wir mit Menschen mit aussergewöhnlichen Überzeugungen umgehen, die psychiatrisch Tätige gewöhnlich als Wahnvorstellungen bezeichnen (Knight 2006). Sie stellte fest, dass viele Menschen problemlos mit aussergewöhnlichen Überzeugungen leben. In ihrem Handbuch „Beyond Belief“ („Jenseits des Glaubens“) zum Umgang mit aussergewöhnlichen Überzeugungen schreibt Knight: „Es gibt viele Menschen mit Überzeugungen, die man als Wahnvorstellungen einstufen könnte, die aber trotzdem ein erfolgreiches Leben ohne jeglichen Kontakt zur Psychiatrie führen. […] Der Unterschied zwischen ihnen und denen, die psychiatrische Patienten sind, besteht darin, ob die Personen mit ihren Überzeugungen umgehen können oder ob ihre Überzeugungen sie quälen und vereinnahmen.“
Knight betont die Tatsache, dass Menschen in der Psychiatrie generell nur Behandlungen bekommen, die darauf abzielen, ihre Überzeugungen zu unterdrücken oder sie davon zu überzeugen, dass sie falsch sind. […]
Das Konzept von Mad Pride („Verrückt und stolz“), das bei Psychiatriebetroffenen immer beliebter wird, fordert […] dass alternative Realitäten und Erfahrungen akzeptiert und respektiert werden. […]
Meine Erfahrungen in den letzten zehn Jahren mit der Hilfe für Menschen, denen psychotische Glaubenssysteme nachgesagt werden, zeigen, dass es wichtig ist, das Recht der Menschen auf ungewöhnliche Überzeugungen anzuerkennen. Traditionelle psychiatrische Dienste halten diese Einstellung für eine Unterstützung von Wahnvorstellungen, die sie für den Betroffenen noch realer erscheinen lassen. Ich habe allerdings festgestellt, dass es oft hilfreich ist, die Ansichten von Menschen als wertvoll und bedeutend anzuerkennen und mit ihnen zusammen herauszufinden, wie sie die Welt sehen und was der beste Weg für sie sein könnte. In manchen Fällen kritisiere ich die Vorstellungen zur Realität, aber es ist nicht mein Ziel, Menschen zu helfen, die Welt rationaler zu sehen; ich will Menschen helfen, mit ihrem Leben klarzukommen und ihre Version der Realität besser mit ihrem Umfeld abzustimmen. […]
Wer sich an die Psychiatrie wendet, bekommt Psychopharmaka zur Unterdrückung aussergewöhnlicher Gedanken, und Therapien sollen den Menschen beibringen, rationaler zu denken. Die Alternative ist, der Gesellschaft zu vermitteln, dass es viele Wege gibt, die Welt wahrzunehmen, und dass nicht die Fähigkeit, normal und rational zu denken, wesentlich für die Lebensqualität von Menschen ist, sondern wie sie über ihre Überzeugungen und die Welt um sie herum denken. Deshalb sind Selbsthilfegruppen, in denen verschiedene Sichtweisen und Anschauungen akzeptiert werden und Menschen entdecken können, wie sie mit ihrer Überzeugung leben können, ein wesentlicher Teil dieses Ansatzes. […]
Rufus May