Auf den ersten Blick, geht es uns besser denn je. Unsere Gesundheitsversorgung ist so gut wie nie zuvor. Die Lebenserwartung nimmt stetig zu und immer mehr körperliche Erkrankungen sind durch effektivere Therapien in den Griff zu bekommen. Im Gegensatz dazu, sind die psychischen Störungen seit Jahren im Vormarsch. Nicht nur steigt die Prävalenz vieler psychischer Erkrankungen seit Jahren kontinuierlich an – diese scheinen auch immer häufiger einen chronischen Verlauf zu nehmen. An erster Stelle stehen dabei die Depressionen. Besonders die „en vogue“ Depressionsdiagnosen: „Erschöpfungssyndrom“ und „Burnout“ gewinnen massiv an Terrain.
Es war eine der grossen Medizin- Hoffnungen der 90er Jahre, dass die „Neuro-Psychiatrie“ als exakte naturwissenschaftliche Disziplin schon bald psychopathologisches Geschehen auf der Ebene von Neuronen und Rezeptoren würde aufklären können. Dass sich mittels genetischen Screenings Risikopersonen identifizieren lassen werden. Dass mit bildgebenden Verfahren gesunde von depressiven und schizophrenen Gehirnen unterscheidbar würden. Und vor allem, dass sich aufgrund der Einsichten in die biologischen Abläufe von psychischen Störungen hochspezifische und damit nebenwirkungsarme Medikamente entwickeln lassen. Keine dieser Hoffnungen hat sich erfüllt. Noch nicht einmal ansatzweise.
Über alle Massen simplifizierte, nie bewiesene und bisweilen grundlegend falsche wissenschaftliche Konzepte zur Biologie der Psyche haben den Boden für die gesellschaftliche Akzeptanz bereitet, psychiatrische Störungen als entgleiste Chemie des Gehirns, insbesondere als Neurotransmitter-Ungleichgewichte zu begreifen. Der Mythos der Spezifität, Wirksamkeit und Sicherheit „moderner“ Psychopharmaka wiederum hat bewirkt, diese exzessiv zu verschreiben und auch bereitwillig einzunehmen. Mit dem leider häufigen Ergebnis, dass das delikate Gleichgewicht der Hirnchemie nachhaltig und möglicherweise irreversibel gestört wird. So kommt es, dass ursprünglich seltene und episodische psychische Krankheiten zu häufigen und chronischen geworden sind.
Dass die Entwicklung neuer und vor allem innovativer Psychopharmaka grosse Probleme macht, ist zwischenzeitlich auch der Pharmaindustrie selbst bewusst geworden. […] So sind die meisten Substanzen in den klinischen Studien längst bekannte Medikamente, die bereits zugelassen sind und nun die behördliche Zulassung für weitere Indikationen anstreben. Gleich mehrere atypische Antipsychotika, darunter auch die Blockbuster Risperdal und Seroquel, werden gerade auf ihre Eignung zum Einsatz bei Depressionen untersucht. […]
Eine pure Verzweiflungstat in Ermangelung echter Innovation? Wie schlecht Psychopharmaka in klinischen Studien abschneiden, zeigt ein Vergleich der Erfolgsraten. Gerade einmal 8,2 Prozent aller psychopharmakologischen Testsubstanzen aus den klinischen Untersuchungen erhalten am Ende eine behördliche Zulassung. Das ist ein Negativrekord unter allen therapeutischen Klassen. Das Scheitern an der Komplexität des Gehirns wird spätestens in den klinischen Untersuchungen offensichtlich.